Wunsch statt Wirklichkeit und Nebel statt klarer Sicht

Mit einer gemeinsamen Erklärung zur Seetorquerung versuchen die Gemeinderatsfraktionen von CDU, Freien Wählern, SPD und FDP die Finanzierungsprobleme der geplanten neuen Bahnhofsunterführung weg zu reden und sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Mit Verwunderung hat die Gemeinderatsfraktion der Freien Grünen Liste die gemeinsame Erklärung von Jürgen Keck (FDP), Kurt-Christian Tennstädt (Freie Wähler), Norbert Lumbe (SPD) und Helmut Villinger (CDU) zur geplanten Seetorquerung zur Kenntnis genommen, die diese für die Gesamtheit ihrer Gemeinderatsfraktionen in der vergangen Woche abgegeben haben. Diese demonstrativ vor­getragene Geschlossenheit der anderen Gemeinderatsfraktionen ist schon deshalb unglaubwürdig, weil es bekanntlich auch in den Reihen der CDU-Gemeinderatsfraktion seit langer Zeit Kritiker an der mindestens 17 Millionen Euro teuren neuen Bahnhofsunterführung gibt.

Zudem verwundert uns, dass die Vertreter der anderen Gemeinderatsfraktionen kurz vor der Ge­meinderatswahl mit einem flammenden Bekenntnis zur alternativlosen und bedingungslosen Um­setzung der sogenannten „Vorzugsvariante“ der Seetorquerung an die Öffentlichkeit gehen, obwohl die hierfür wichtigen Rahmendaten des Quality Gate erst nach der Kommunalwahl vorgelegt werden und die mit großer Mehrheit im Gemeinderat beschlossenen öffentlichen Anhörungen zu den Planungs-, Finanzierungs- und  Umsetzungsdetails der neuen Bahnhofsunterführung erst im An­schluss daran erfolgen werden.

Besonders bemerkenswert ist aber, dass die Aussagen der anderen Gemeinderatsfraktionen zur Finanzierung der neuen Unterführung die drastischen Folgewirkungen für den städtischen Haushalt fahrlässig ignorieren und stattdessen von einer „soliden Finanzierung“ sprechen.

Der wiederholte enorme Anstieg der Baukosten für die Seetorquerung ist wesentlich mitverantwort­lich für die drastische Schieflage der städtischen Finanzen in den kommenden Jahren.  Die städti­sche Finanzrücklage wird innerhalb kurzer Zeit von aktuell 13 Mio. Euro auf die gesetzlich vorge­schriebene Mindestrücklage von 1,6 Mio. Euro bis Ende 2015 aufgezehrt. Parallel hierzu steigt die Verschuldung der Stadt um 60% von derzeit 12 Mio. Euro auf mindestens 19 Mio. Euro bis Ende 2017 an.

Dies hat zur Folge, dass die in der Finanzplanung von Radolfzell vorgesehenen Investitionen ab 2018 in Höhe von fast 49 Mio. Euro dann nur noch durch starke Steuererhöhungen für die Betriebe und BürgerInnen sowie durch eine weitere drastische Neuverschuldung zu finanzieren sind. Für die eigentlich im Zentrum der Stadtentwicklung stehende Seeufergestaltung, die erst nach der Bahn­hofsunterführung realisiert werden soll, ist dann keine seriöse Finanzierung mehr möglich.

Ebenso wird dann kein Geld mehr für die vielen seit langem versprochenen Wunschprojekte des Gemeinderates da sein, wie zum Beispiel für die Sanierung der „Unterführung am Libellenweg“.

Die „Glaubwürdigkeit der Politik“, die Helmut Villinger einfordert, zeigt sich daher nicht am unbeirrten Festhalten einer Baumaßnahmen, die finanziell inzwischen vollständig aus dem Ruder gelaufen ist, sondern daran, ob der Gemeinderat endlich die notwendigen Konsequenzen aus der Kostenexplo­sion der geplanten Bahnhofsunterführung zieht.

Vollständig absurd ist die Argumentation der FDP, die von der neuen Bahnhofsunterführung sogar „Impulse für die Ortsteile“ erwartet und die abenteuerliche Behauptung aufstellt, dass die barriere­freie Bahnsteigsanierung in Böhringen und Markelfingen „ohne die Seetorquerung nicht durchsetzbar ist“. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Aufgrund der hohen Kosten für die neue Bahnhofsunterfüh­rung schrumpft der finanzielle Spielraum für die Bahnsteigsanierungen in Böhringen und Markelfin­gen aber auch für wichtige Investitionen in die städtische Infrastruktur im Bereich von Bildung, Be­treuung, Kultur, Sport und Verkehr.

Die Gemeinderatsfraktion der Freien Grünen Liste setzt sich nach wie vor für die schnelle Realisie­rung einer attraktiven und funktionsfähigen Seetorquerung ein. Aufgrund der Kostenexplosion und der offensichtlichen großen Planungsmängel bei der bisher favorisierten Planungsvariante der neuen Seetorquerung ist es zwingend erforderlich, dass zügig ein städtebaulicher Planungswettbewerb für eine attraktive, funktionsgerechte, barrierefreie und finanzierbare Neugestaltung der bestehenden Bahnhofsunterführung sowie der See- und Altstadtanbindung ausgeschrieben wird. Die Fördermittel des Landes stehen natürlich auch für eine geänderte Planung zur Verfügung. Darüber hinaus muss die Schaffung einer attraktiven Seeuferpromenade endlich wieder in den Mittelpunkt der Anstrengun­gen gestellt werden.